Coaching zur Gesundheitsbewältigung und Unterstützung in Sinnfragen
Aktive Patientinnen und Patienten fühlen sich wohler als jene, die sich ihrer Erkrankung und der Therapie passiv ausgeliefert fühlen. Krebspatienten können ihre medizinische Behandlung und ihr Wohlbefinden durch die Veränderung ihrer Einstellung entscheidend mitbestimmen. Patienten, die eine realistische Hoffnung und moderate Wehrhaftigkeit entwickeln, die sich engagieren, informieren und mit anderen Patienten in Selbsthilfegruppen treffen, haben meist eine bessere Lebensqualität und fühlen sich wohler als Kranke, die sich passiv ihrem Schicksal ergeben. Außerdem berichten diese Patienten, dass sie weniger müde sind, Schmerzen besser im Griff haben und mehr Sinn in ihrem Leben sehen. Sie nehmen eher „steuernd“ am Prozess der Diagnostik und Therapie teil. Dieses Thema wurde 2007 bei Junfermann aufgegriffen in der kurzen Publikation „Simontons Erben“. Es ist immer noch aktuell.
Gesprächskreise, Entspannungstraining, spezialisierte Informationsveranstaltungen, Hypnotherapie oder Gesundheits-Coaching können dabei helfen und unterstützen, eine realistische Hoffnung und eine Veränderung der Stimmung und Einstellung aufzubauen. Die Hypnose – ob als einziger Zugang oder im Rahmen des Coachings – hat in diesem Falle nichts mit Showhypnose oder älteren „magischen“ Vorstellungen zu tun, und sie ist auch kein Wundermittel. In der modernen Hypnotherapie sind die Patientinnen und Patienten meistens wach oder nur leicht „schläfrig“ – was Trance genannt wird. Sie werden dazu angeregt, sich selbst in diesen Zustand innerer Fokussierung zu versetzen und hilfreiche oder heilsame innere Vorstellungen zu aktivieren. In der Psychosomatik, der medizinischpsychologischen Lehre von dem Wechselspiel zwischen Körper und Geist, ist seit langem bekannt, dass Gefühle und Gedanken – im Fachjargon: emotionale und kognitive Prozesse – oder auch Erinnerungen, Fantasien, innere Vorstellungen oder Überlegungen im Gehirn Wirkung entfalten und dort sogar „Neuverschaltungen“ vornehmen können.
Diese Veränderungen im Gehirn stehen direkt in Verbindung mit dem gesamten Nervensystem und mit dem System der Botenstoffe im Blutkreislauf. Auf diese Weise können andere oder neue Gefühle und Gedanken die Stimmung, das Denken und Handeln, sogar den Stoffwechsel positiv beeinflussen und das Immunsystem hierdurch aktivieren und stärken. Solche körperlichen und psychischen Umschaltprozesse erhöhen vielleicht die Heilungschancen für Patienten mit schweren Erkrankungen, da diese Patienten dann aktiv und selbstbewusst an ihrem Heilungsprozess mitwirken. In den meisten Fällen erklären sich die Verbesserungen von Wohlbefinden und die Lebensqualität wahrscheinlich durch die aktivere Rolle, die die Patienten übernehmen und die positive Veränderung der Gefühlswelt.
Eine moderne medizinische Behandlung wird durch Hypnose nicht ersetzt. Die psychische Beeinflussung allein heile nicht, so die Meinung medizinischer Krebsspezialisten. Zwar soll es hier abweichende Einzelfallmeldungen geben; diese sind aber nicht wissenschaftlich belegt oder erklärbar. Außerdem handelt es sich wirklich um Ausnahmefälle. Wichtig sei, dass die Aktivierung der psychischen Widerstandskräfte, also von Mut, Zuversicht, Hoffnung, Entspannung, neuer Sinngebung im Leben, aktiver Suche nach Hilfe, Information, Austausch, mit einer modernen medizinischen Gesamtbehandlung kombiniert wird. Es gibt leider keinerlei Beweise dafür, dass „psychische Methoden“, auch nicht Hypnose, die Überlebenszeit oder die Tumorrückbildung generell beeinflussen. Aber es gibt eindeutige Studienergebnisse, die die Verbesserung der Lebensqualität durch den Einsatz von Hypnose, Entspannungsmethoden und Ähnlichem bei schweren Erkrankungen bestätigen.
Kliniker und Forscher aus der Krebsmedizin, der Onkologie, kritisieren populäre hypnotherapeutische und imaginative Versuche der Krebstherapie, wie sie der Strahlentherapeut Carl Simonton entwickelte. Diese Methoden versprechen den Patienten zu viel. Dr. Carl Simonton, ein amerikanischer Radio-Onkologe, hatte Anfang der 70er Jahre begonnen, bei Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen zusätzlich zur medizinischen Behandlung mit hypnotherapeutischen Visualisierungsübungen von Heilungsvorgängen die Selbstheilungskräfte des Körpers auf immunologischer und zellulärer Ebene zu aktivieren. Von ihm stammen die Imaginationen angriffslustiger weißer Blutkörperchen, die in großer Zahl die Krebszellen bekämpfen und besiegen, zum Beispiel „Löcher in einen Käse fressen und ihn dann ganz vertilgen“.
Das Gesamtprogramm nach Simonton umfasst neben Visualisierungen auch Entspannungsanleitungen, körperliche Aktivität, die kognitive Arbeit mit Gefühlen, Gruppengespräche, Vorträge und die Suche nach neuen Zielen. Simonton und viele seiner Patienten oder Anhänger berichteten immer wieder von spektakulären Heilungserfolgen. Diese Heilungserfolge werden auch heute noch häufig zitiert – sie ließen sich wissenschaftlich allerdings meist nicht bestätigen.
Nach Simonton entwickelten Ärzte oder nicht-ärztliche Helfer ähnliche Verfahren. In der NLP-Szene sind hierzu die sehr kreativen Arbeiten zur Psychoimmunologie von Robert Dilts bekannt geworden. Wer bei Google nach Begriffen wie „Hypnotherapie bei Krebs“ oder „Psychoneuroimmunologie“ stöbert, findet sehr viele Berichte oder Behauptungen zu positiven Wirkungen dieser Verfahren. Immer wieder wird in diesen Berichten auch Heilung versprochen oder implizit in Aussicht gestellt.
Heute gehen medizinische Krebs-Experten „nur“ noch davon aus, dass Übungen nach Simonton zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen können und damit sekundär eventuell das Leben verlängern oder die Heilungschancen verbessern könnten. Diese Effekte könnte auch ein umfassendes Gesundheits-Coaching erreichen, das imaginative und kognitive Elemente vereint. Die weite Verbreitung des Programms von Simonton unter dem Titel „Wieder gesund werden“ in Deutschland sehen medizinische Experten jedoch mehrheitlich kritisch, weil sich viele Patienten mehr davon versprechen, als tatsächlich davon zu erwarten ist: Irreführend sei schon die Titelwahl, die nahelegt, man könne durch regelmäßige und intensive Visualisierung seine Genesung selbst herbeiführen. Viele Patienten entwickeln daraus einen Umkehrschluss: wenn ich nicht regelmäßig übe, muss ich sterben und bin dann selbst schuld daran.
Moderner als Simontons Ansatz – und an einer wissenschaftlichen Fundierung orientiert – ist beispielsweise die Arbeit von Gerhard R. Susen: Krebs und Hypnose – Hilfe vom inneren Freund, J. Pfeiffer-Verlag. Ein sehr gutes Lehrbuch zur unterstützenden Kommunikation hat Elvira Muffler herausgegeben: Kommunikation in der Psychoonkologie (Carl-Auer).
Heute werden in der medizinischen Fachwelt der großen Kliniken jedoch vereinzelt bereits unterstützende psychologische Programme angeboten (immer noch VIEL zu selten und zu wenig). Patienten lernen, selbst aktiv zu werden und das eigene Wohlbefinden zu beeinflussen. Sie entwickeln Macht über innere Bilder: Statt Hoffnungslosigkeit und Fantasien von Tod und körperlichem Verfall, imaginieren sie Bilder der Hoffnung und des Verfalls der Tumorzellen. Die begleitenden psychotherapeutischen Gespräche bieten Raum für eine Auseinandersetzung mit der Erkrankung, mit Lebenshaltungen und -gewohnheiten, aber auch für neue Wege der Selbstkommunikation und der Beziehungsgestaltung im eigenen Familiensystem. All das unterstützt damit den Prozess der Krankheitsbewältigung. Jüngere Medizinerinnen und Mediziner haben zunehmend Interesse an solchen Themen, die ihre zukünftigen „schulmedizinischen“ Heilungsangebote unterstützen können. So lernen Studierende der Medizin nun beispielsweise auch in freiwilligen Seminaren die Grundlagen der modernen ärztlichen Hypnosetherapie. Einige Coaches bieten solche Unterstützungsprogramme auch für den ambulanten Bereich an (außerhalb des Krankenhauses); als Gesundheits-Coaching, Bewältigungs-Coaching, teilweise auch im Gruppensetting.
Die Krankheitsbewältigung wirft selbstverständlich auch Sinnfragen auf. Hier kann beispielsweise das „Bildkartenset Sinnorientiertes Coaching“ eingesetzt werden, in dem viele Gesprächsanregungen und Übungen enthalten sind, die sich mit kleinen und großen Sinnfragen befassen; aber auch mit der Frage nach dem Tod.
Die Brücke von der Krankheitsbewältigung zum Sinn-Coaching stellt für manche Klienten eine annehmende Seelsorge dar, die nicht eine kirchliche Lehre in den Mittelpunkt stellt, sondern die spirituelle, existenzielle Sorge des Menschen. Sehr gut verständlich beschreibt Oliver Vogelsmeier die Verbindung von Coaching-Kompetenzen und seelsorgerlicher Haltung. Vogelsmeier ist insbesondere für die Betreuung von onkologischen und palliativen Patienten in einem universitären Großklinikum zuständig und hat im Klinikum eines der größen deutschen Ehrenamtlichenteams aufgebaut (vergl. hierzu bitte: Oliver Vogelsmeier, in Migge: Handbuch Coaching und Beratung, S. 602 ff). Für Medizinstudierende bietet er den Kurs „palliative Gesprächsführung“ an, der für das Gespräch in existenziellen Situationen sensibilisieren soll. Denn Ärzte können das Leben nicht immer retten oder verlängern. Manchmal ist es auch wichtig, als Mensch einfach „da zu sein“ und Begleiter auf einem letzten Weg im Leben zu sein.
Aus der existenziellen Haltung der Seelsorge heraus (ob man nun gläubig ist oder nicht!), aus der Psychoonkologie (mit ihrem breiten psychologischen Wissen) und der speziellen Hypnotherapie bei Krebs (mit vielen Imaginatinsmöglichkeiten und Sprachsensibiliät), können Coaches viel lernen, um diese Kompetenzen zum Wohle ihrer Klienten einzusetzen, die Unterstützung und Annahme in schweren Zeiten brauchen. Das ist wohl keine Alternative oder ein „besserer“ Ersatz für die fachkundige Betreung spezialisierter Psychologen, die in diesem Bereich arbeiten. Allerdings gibt es so wenige spezialisierte Angebote von Psychologen oder Ärzten, dass die allermeisten Patienten leider nur Hilfe erhalten, wenn sie eine begleitende Depression o. ä. entwickeln. All die anderen, die „mehr oder weniger“ ohne Depression mit ihrem Schicksal kämpfen, erhalten immer noch viel zu selten Hilfe. Da es um schwere Erkrankung geht, denke ich, dass Coaches hier allergings nicht so sehr auf das „schnelle“ Geld schauen sollten (aber auch Ärzte und Psychologen verdienen Geld!). Es besteht auch die Möglichkeit, an Volkshochschulen preiswerte Gruppenangebote oder VHS-Informationsworkshops zum Thema Hypnotherapie für Unterstützer (Heilpraktiker, Physiothearpeuten u. a.) anzubieten oder Selbsthilfegruppen zu unterstützen und vieles mehr. Themen von solchen Angeboten können sein: Imaginationsübungen in Gruppen, Sinncoaching in Gruppen, Begleitung von Diskussionen und einem hoffnungsvollen Austausch in Gruppen (manche Selbsthilfegruppen sind teilweise nur im negativen Austausch geübt und freuen sich über Anregungen aus der „positiven Psychologie“ oder der einer Ressourcenorientierung). Selbst wenn man kein Geld verdienen möchte, durch die Arbeit in diesem herausfordernden Themenbereich, nämlich dort, wo Mitmenschen leiden und existenzielle Angst haben, kommt doch ein großer Lohn durch diese Form der Arbeit zurück. Vielleicht mögen Sie das in Peergruppen, Qualitätszirkeln u. Ä. diskutieren, denn das Theme liegt an der Schnittstelle von Sorge, Selbstsorge, Ethik und Professionsverständnis.
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