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Angst in Coaching und Therapie


Eintrag vom: 18. 04. 2018

Angst ist ein Schlüsselphänomen – auch im Coaching

In der Begleitung von alltäglichen Ängsten und sogar Angsterkrankungen können Coaches im therapeutischen Team hilfreich mitwirken. Denn eine umfassende Begleitung bei Angststörungen umfasst auch eine Änderung des Lebensstils, der Denk-, Fühl- und Handlungsgewohnheiten und erfordert neue Strukturen im alltäglichen und beruflichen Leben. Doch auch für Coaches – die begleitend in ein Team aus Ärzten, Psychologen u. a. eingebunden sind – ist grundlegendes Wissen zur Angst erforderlich, weshalb dieses Thema in einer Coaching-Ausbildung oder spezialisierten Hypnotherapie-Ausbildung für Coaches behandelt werden sollte.

Amygdala Emotionale Angstzentrale

Aus der Sicht von Klienten oder Patienten gibt es Angstphänomene, die sie eher lähmen und sie an der Entfaltung im Leben hindern. So trauen sich einige Menschen nicht ohne Begleitung aus dem Haus, auf große Plätze, nicht in ein Flugzeug, auf eine Brücke und vieles mehr. Andere Personen haben sehr große Furcht vor Hunden, Spinnen, Flüssen, Pferden oder anderen Wesen und Objekten. Sie gehen ihnen gezielt aus dem Weg. Wieder andere Menschen werden scheinbar aus heiterem Himmel von heftigen Körperveränderungen beunruhigt, wie Herzrasen, Atemnot, Schwindel und dergleichen, wobei sie erst im zweiten Schritt realisieren, dass eine sehr akute Angst, eine Panik, damit in Zusammenhang steht. In der Psychiatrie werden die unterschiedlichen Angstphänomene mit verschiedenen Begriffen diagnostiziert. In dosiertem Umfang oder in der passenden Situation ist die Angst ein sehr wichtiges und natürliches Phänomen, denn es macht vorsichtig, lenkt die Aufmerksamkeit (die Sinne, unsere Wahrnehmung, unsere Imaginationen, unser Denken bis hin zum Grübeln) auf mögliche Gefahren und bereitet in akuten Situationen unseren Körper auf Extremsituationen vor.

Ängste erwachsen aus mehr oder weniger unbewussten sowie aus bewusstseinsnahen Gehirnfunktionen. Ein Teil unseres körperlichen Unbewussten (vergl. in Hypnose und Hypnotherapie, Migge, 5/2018) sind die paarig auf beiden Seiten angelegten kleinen Gehirnstrukturen im Mittelhirnbereich, die wir meist in der Einzahlform als Amygdala bezeichnen.

Angst sollte Thema in einer Coaching-Ausbildung sein. Denn Coaches können in einen Team aus Ärzten und Psychologen einen wesentlichen Beitrag leisten. Ein biologischer Aspekt der Angst ist das Wirken der Amygdala im Gehirn. Spezialisierte Hypnotherapie ist sehr wirksam in der Angsttherapie.

Die Amygdala ist im Gehirn für die sehr schnelle Aktivierung von Emotionen zuständig. So kann ein Bild, ein Geruch oder ähnliches im Bruchteil einer Sekunde eine sehr starke Emotion auslösen, wenn die Amygdala früher auf diesen Reiz programmiert wurde und Ähnlichkeiten zu dem Früheren registriert. Im Falle der Angst kann eine heftige Panikreaktion oder ein fürchterlicher Schreck durch einen Schlüsselreiz ausgelöst werden, der dem Großhirn als Sitz unseres Bewusstseins und rationalen Denken noch nicht einmal aufgefallen ist. Dem Großhirn ist der Schlüsselreiz ebenso unbewusst wie die Tatsache, dass es in der Amygdala eine entsprechende Programmierung oder Lernerfahrung gibt. Auf eine sehr einfache oder sogar primitive Weise liegen in der Amygdala unbewusste Gedächtnisinhalte vor, die von den Gedächtnisstrukturen im Großhirn verschieden sind. Viele schnell auftretende Ängste, die „wie aus dem Nichts“ starten, haben ihren Ursprung in der Amygdala. Daher kann das Großhirn zunächst auch die körperlichen Folgeerscheinungen, wie Herzrasen oder Atemnot nicht einordnen. Viele Patienten fürchten dann, dass sie eine körperliche Erkrankung haben, wie Herzrhythmusstörungen oder dass sie gerade einen Herzinfarkt erleiden. Die heftige Startreaktion der Amygdala war in der langen Geschichte der Menschheit überlebensnotwendig. Sie ist es auch heute noch, wenn wir instinktiv vor Gefahren geschützt werden, wie beispielsweise vor einem herannahenden Auto, dass wir nur aus den Augenwinkeln im letzten Moment registrieren. Nicht unser Großhirn rettet uns dann, sondern die blitzschnelle Aktivierung der Amygdala. Für viele Patienten ist es eine große Erleichterung, wenn sie erfahren, dass ihre unerklärlichen Ängste oder Symptome einen nachvollziehbaren Grund in dieser Hirnstruktur haben.

Migge: Hypnose und Hypnotherapie, 461 S., 5/2018

Angstreaktionen, die in der Amygdala gestartet werden, führen sekundär zu Gedanken im Großhirn. Dort werden Gefahren aufgebauscht, gewertet, kleingeredet, großgeredet, es werden Katastrophenideen konstruiert oder Gedankenschleifen ins Rollen gebracht. Dies alles wiederum kann die Aktivität der Amygdala weiter anregen (oder auch senken).

Umgedreht können auch Gedanken aus dem Großhirn die Amygdala zu emotionalen Angstreaktionen anregen. Wenn wir beispielsweise lange über einen Flugzeugabsturz nachdenken, wird die Amygdala immer mehr aktiviert und so entstehen aus Gedanken angstvolle Emotionen, aus denen sich ein Kreislauf ergeben kann, der sich gegenseitig verstärkt.

Auch der Körper kann auf die Amygdala zurückwirken oder auf die Bewertungs- und Denkstrukturen im Körper. So kann eine Herzrhythmusstörung (die aus dem Herzen selbst hervorgeht) selbstverständlich eine Angstreaktion über die Amygdala auslösen und zu stark angsterfüllten Gedanken im Großhirn führen. Umgedreht kann die Aktivität oder Reizschwelle der Amygdala auch durch therapeutisch initiierte, körperliche Veränderungen modifiziert werden. Entspannungstraining, Atemtraining, Yoga, Meditation und Ähnliches wirken auch (nicht nur!) über ihre körperlichen Folgen auf den komplizierten Regelmechanismus ein.

Eine komplexe Therapie der Angst enthält daher ebenso alle Elemente des sogen. Total-Pain-Modells von Cicely Saunders … (Fortsetzung im begleitenden Onlinematerial zu: Migge: Hypnose und Hypnotherapie, Beltz 2018).

Literatur und Vertiefung:

In der o. g. Quelle finden Sie Literaturhinweise zum Thema sowie den komplexen Zugang zum Umgang mit Angst über Imaginationen, kognitives Umstrukturieren, viele Hypnoseinterventionen u. Ä.

Zur Angst als psychologisches und soziales Schlüsselphänomen finden Sie außerdem wertvolle Hinweise für „normale“ Coaches im Handbuch Coaching und Beratung, 4. Auflage, Beltz.

Fortbildungshinweis:

Angst ist ein Themenschwerpunkt im Seminar Hypnose 6 der modularen Hypnosefortbildung (23 Tage Umfang).

© B. Migge

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