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Ist Coaching nur Systemerhalt?


Eintrag vom: 23. 03. 2019

Manche meinen, dass Coaching Führungspersonen erfolgreich(er) machen sollte. In einer komplexen Beschleunigungs- und Wachstumswelt sollen sie agiler performen, menschlich, dynamisch – letzlich aber, damit das aktuelle Modell des Wirtschafts gut läuft – oder? Dies ist ein provozierender Beitrag, der zur Diskussion anstiften soll.

Arbeit, die ein Mensch wirklich, wirklich (!) will. New Work.

Oder brauchen wir eine ganz neue Vorstellung von Arbeit, eine New Work? Dieser Begriff wird heute kaum noch auf den Philosphen Frithjof Bergmann zurückgeführt, der ihn von ca. 30 Jahren prägte. Nur ein winziger – sozusagen agiler, wachstums- und beschleunigungskomformer – Teil von Bergmanns Idee wird heute in der Wirtschaft oder im Coaching genutzt. Manager und (Projekt)Teams sollen, agiler, resilentier agieren und auch (oberflächlich) noch toll finden, was und wofür sie leisten … Dabei hatte Bergmann eher einen großen Wurf vor Augen: Er wollte das ganze System von Profitmaximierung, Wachstum, Entgrenzung, Subjektivierung der Arbeit (Selbstausbeutung), Gier, Lohnarbeit, Ethikverlust, Globalisierung, … in Frage stellen und suchte nach neuen humanen und weltverträglichen Wegen. Ein kleiner Teil seiner Ideen bezieht sich auch auf die Verbesserung des Miteinanders und der Entscheidungsprozesse innerhalb von Organisationen. Das sind wertvolle Verbesserungen. Sie verändern jedoch nicht wirklich den Rahmen, wie er bereits vor 30 Jahren sah. Agiles und nettes Design innerhalb der Unternehmen ändert nämlich nichts an der steigenden Zahl von Depressionen, der Zunahme von Burnout, am nervigen Narzissmus und der Kurzsichtigkeit des politischen Gerangels, der zunehmenden Umweltzerstörung, der weiteren Ausbeutung armer Menschen weltweit, dem Raubbau an natürlichen Ressourcen, der zynisch-ungerechten Landverteilung (in armen Ländern), … – all das wirft nun erneut (?) die Frage auf, ob es ein agileres, fitteres, schnelleres, anpassungsfähigeres Arbeiten innerhalb der bestehenden Systemkonstanten braucht oder vielmehr oder zumindest zusätzlich ein mutiges Hinterfragen des bisherigen Regelwerkes. Das wäre aber bereits eine Gefährdung und beginnende Transformation bestehender Herrschaftssyteme, das wäre nicht gut für die Narzissten ganz oben, ihre änglischen Mitläufer überall oder die megareichen Profiteure und Lenker der bestehenden Ordnung. Wie groß kann also die Idee des New Work wirklich sein? Dürfen wir an den Rahmenbedingungen kratzen?

Mitschwimmen im System oder grundsätzliche Fragen stellen?

Die nächste Frage: Was ist bei einer Neugestaltung des „Systems“ die Rolle der Coaches? Viele klammern die Frage aus und kümmern sich nur um den Erfolg ihrer Klienten, denn Coaching sei die erfolgsorientierte Beratung von Personen mit Führungs- und Steuerungsfunktionen … (und damit doch unpolitisch). Doch wenn ein Coach systemisch geschult ist (und Zusammenhänge erkennt), psychologische Kenntnisse hat (über Narzissmuns und Manipulation), auf Ethik und nachhaltige Werte setzt, etwas über wertschätzende, zerstörerische oder manipulative Kommunikation weiß … sollte er sich dann nicht einmischen: In Vorträgen, Fragerunden an der örtlichen VHS und Ähnlichem? Hier könnte er auf Zusammenhänge hinweisen, aufzeigen, wie viele Menschen unter Burnout leiden, unter Depression, Alkohol nehmen, Ritalin, … um die milde Krankeheit namens Arbeit (Bergmann) zu überstehen.
Ich meine, dass ein Coach nicht nur ein Diener des Erfolgs sein sollte, sondern stattdessen eine Metaperspektive ermöglichen kann.

Stühlerücken auf der Titanic? Oder das System grundsätzlich transformieren?

Das „System“ ist ein Konstrukt aus Gier und Narzissmus, im Wesentlichen „gelenkt“ durch Menschen, die nicht arbeiten und viele Aktien und Vermögenswerte und Teile der Erde „besitzen“ (sie leben meist auf Luxusjachten und in riesigen Villen, fern der anderen Menschen). Sie finanzieren Politiker, Lobbygruppen, Beratungsfirmen, Wissenschaftsinstitute und Parteien, gestalten und lenken Medien und Ähnliches. Durch sie werden sehr, sehr gut bezahlte Mitarbeiter eingesetzt, die Vorstände heißen, große Lackschuhe und schwere Uhren tragen, und wie bei VW, Audi, Porsche u. Ä. auf den Profit, Macht und Ruhm aus sind (Dieselskandal etc.), nicht aber auf den Erhalt der Erde, auf Frieden, Gerechtikeit u. a. Denn fast alle von ihnen leiden (ohne es zu wissen) an einer tiefen Selbstwertstörung, einer narzisstischen Persönlichkeitsdeformation (mit einem Größenselbst).
Dann gibt es die vielen Mitarbeitenden und „normalen“ Menschen. Damit sie sich getröstet fühlen, gibt es Psychotherapie, Coaching, Supervision u. Ä. Doch diese Instrumente, das individuelle Leiden an der Organisation zu mildern, erreichen weder den Systemrahmen noch die teuer eingekauften Lenker, die Vorstände. Aufrund ihrer Persönlichkeitsstruktur (Narzissmus und Gier) wären sie auch immun gegen Veränderungsangebote dieser Art. So bleibt den Coaches, den Mitarbeitenden und kleinen Managern (sie sehen sich mit Sehnsuchtsblicken zu den Lenkern jedoch oft größer als sie sind) nur folgendes: Sie richten sich in ihrem Trostraum möglichst dynamisch und agil ein. Das ist ein Stühlerücken auf der Titanic, diesem großen Schiff des Sytems, das die Welt und die Seelen zerfrisst.

Lesehinweise zur Vertiefung:

Friethjof Bergmann: Neue Arbeit, neue Kultur

Markus Väth: Arbeit. Die schönste Nebensache der Welt

Hans-Joachim Maaz: Die narzisstische Gesellschaft

Diese Fragen dürfen diskutiert werden: Können Coaching, Supervision, Philosophische Praxis u. Ä. einen Beitrag leisten zur Erneuerung des Systems? Oder bleiben wir im „agilen Trostraum“ mit unseren Professionen? Die jüngsten Schülerstreikst machen uns deutlich, dass es nicht nur um kleine Stellschrauben gehen kann, sondern um grundsätzliche Veränderungen unseres Wachstums-, Profit- und Narzissmus-Sytems.

Sprechendes Logo: Im Logo des Deutschen Fachverbandes Coaching sind einige dieser „großen Fragen“ eingebaut, da der DFC sich als Fach- und Ethikverband versteht und nicht als (marketingorientierter Berufsverband). Zur Erklärung des DFC-Logos:


Was bedeutet das runde Symbol im Logo des DFC?
Coaching findet innerhalb eines Rahmens statt, der durch persönliche, organisationale, ökonomische und politische Gewohnheiten bestimmt ist (der Runde Kreis) sowie durch Natur (darum grün) und Weltverständnis. Das ist zunächst die Arbeitsrealität im Coaching. Doch der Rahmen ist offen an einer Stelle (oben rechts). Hier fällt das Licht der Hoffnung ein, manchmal eine Vision oder es erfolgt der Austritt zu einer Transformation oder Revolution. Das Selbst des Menschen kann und muss den Rahmen auch ändern dürfen, im Persönlichen, in neuen Begegnungsformen, spirituell und sicher auch im Politischen. Sonst wäre Coaching nur eine Bewegung in Trostaum, ein Stühlerücken auf der Titanic, ein gehorsamer Erhalt des Systems. Wenn wir Menschen darin unterstützen, dass sie wirklich zu dem werden können was sie sind, dass sie entdecken, was sie wirklich, wirklich arbeiten wollen, was ihr Beitrag für diese Welt sein kann … dann weist das oft auf die Lücke hin. Darum ist Coaching auch spirituell und auch politisch! Das ist gut in einer Welt, die einen Wandel braucht, vielleicht weg vom narzisstischen Wachstum durch Konsumsteigerung und entgrenzender, gieriger Optimierungsausbeutung? Hin zu cooler Schlichtheit, Begrenzung, Demut und Freundschaft mit sich, den anderen und der Welt … Auch Coaches stecken den Rahmen ab und können die Lücke der Hoffnung verschleiern, als Diener eines Erfolgssystems – oder auf das Licht hinweisen.

Unter dem Logo des DFC tauchen drei Begriffe auf: Werte – Resonanz – Sinn:

  • Werte sind uns wichtiger als Erfolg durch Geld, Macht, Ruhm oder Umsatz. Es geht um mehr.
  • Resonanz ist ein Wort für Begegnung, Beziehung, Empathie, rechtes Mitgefühl, Gemeinschaft, Liebe.
  • Sinn ist die Bewegung in ein erfüllendes und wertvolles praktisches Leben, das Frieden sitftet.

Der DFC ist ein Fachverband, der sich als Ethik- und Wertenetzwerk versteht, in dem Menschen sich gemeinsam im Umfeld der Beratungsform Coaching bilden, bewegen und entwickeln. Der DFC ist kein Berufs- oder Marktingverband, der seine Mitglieder in wirtschaftlicher Hinsicht erfolgreicher zu machen sucht. Der DFC hat keinerlei finanzielle Mittel. Mitglieder des DFC fördern stattdessen die DWHH: Die Deutsche Welthungerhilfe (DWHH) leistet als Stiftungs-Partner des DFC konkrete Hilfe in der Welt. Aktuell mit dem Projekt SKILL UP in Afrika. Die Mitglieder des DFC haben bereits über 300.000 Euro für nachhaltige Hilfe der DWHH aufgebracht und bisher keinen Cent für verbandsinterne Organisation und Selbstdarstellung verplempert.

Über den DFC kann man sich hier informieren: www.dfc-verband.de

Über das Thema „New Work“ halte ich Vorträge, die als Diskussionimplulse gedacht sind. Zusammen mit Philosophen, Politikern, Interessierten etc. kann dann darüber diskutiert werden, wie eine Welt aussehen könnte, in der Menschen wirklich, wirklich leben wollen. Und wie Arbeit aussehen könnte, die ein Mensch wirklich, wirklich tun will.

Ich bedanke mich für Ihr / Euer Interesse, Björn Migge



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